Die Frau mit dem roten Lippenstift
Dreimal die Woche fuhr ich mit der S-Bahn nach Frankfurt. Ich hatte gerade ein Projekt am Flughafen. Auch wenn ich viel Zeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln verbrachte, fand ich es mittlerweile sehr schön, diese Zeit für mich zu nutzen. Menschen zu beobachten, nachzudenken, Nachrichten zu beantworten, mich für den Abend spontan zu verabreden, mit Freunden zu telefonieren. Mein Leben zu organisieren.
Es war morgens. Sie saß schräg gegenüber auf der anderen Seite des Flurs. Eine schöne Frau, um die dreißig, lässig elegant gekleidet. Ich konnte von der Seite beobachten, wie sie sich genüsslich den Lippenstift auftrug. Sie hatte wohlgeformte Lippen. Sie war sonst wenig geschminkt.
Ganz präzise folgte sie den Konturen ihrer Lippen. Vom oberen Rand nach unten ließ sie die cremige Spitze gleiten. Und ließ ihre Lippen nach und nach in einem schönen Rotton schimmern, nicht zu grell, nicht zu dunkel. Sie holte einen kleinen runden Spiegel aus ihrer Tasche heraus. Sie schaute sich immer wieder das Ergebnis an. Selbstzufrieden, denn sie lächelte immer wieder. Ich musste selbst lächeln.
Sie merkte dies und drehte sich kurz in meine Richtung. Ich sagte „Die Farbe steht Ihnen sehr gut“. Sie lächelte mich an. Als wir den Flughafen erreichten, standen wir beide auf und gingen zur Tür. Der Zug hielt an. Bevor sie ausstieg drehte sie sich ein letztes Mal um. Und schenkte mir ein wunderschönes Lächeln.
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