Gemeinsame Herkunft verbindet

Er war um die sechzig und stand neben mir an der Bushaltestelle. Er wirkte einsam, ein wenig verloren. Er trug einen dunklen Anzug, der ein wenig zu groß für ihn geworden war. Auch der Glanz war weg, wie ein Relikt aus einem früheren Leben. Dennoch sah ich diesem Mann an, dass es für ihn wichtig war, schick auszusehen. Vielleicht hatte dieser Anzug sogar eine bestimmte Bedeutung für ihn. Wie oft hatte er ihn schon angehabt? Was hatte er erlebt, als er ihn trug?
Er schaute immer wieder zu mir herüber und ich merkte, dass er sich mit mir gerne unterhalten wollte. Er eröffnete das Gespräch: „Entschuldigen Sie bitte. Wieviel Uhr ist es?“. Ich antwortete „Gleich 08:00, der Bus müsste gleich kommen“.
Er hörte meinen französischen Akzent. Er freute sich und seine Augen fingen an zu leuchten. Er hätte auch französische Wurzeln. Und brasilianische. Es wäre so lange her, dass er französisch gesprochen hätte. Auf einmal kehrte die Lebendigkeit in ihm zurück. Er sah wie ausgewechselt aus.
Als der Bus kam, zeigte er mir schnell voller Stolz seinen Pass, indem seine französische Herkunft nachzulesen war. Das Papier war über die vielen Jahren seiner Existenz ganz weich geworden. Er schien so glücklich, dass er seine Identität für einen kurzen Moment hatte aufleben lassen. Ich stieg ein und lächelte zurück ein letztes Mal.
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